Adolf Just – ein Leben für die Naturheilkunde

Adolf Just wurde am 8. August 1859 im Dorfe Lüthorst bei Einbeck in der damaligen Provinz Hannover als ältestes von zwölf Kindern geboren. Die Eltern betrieben eine kleine Bauernwirtschaft, verbunden mit einem Gasthaus. Sein Vater entstammte einer Bergmannsfamilie aus Grund im Harz, die Mutter einem alteingesessenen Bauerngeschlecht. Wie damals üblich, half Just als Kind bei Aussaat und Ernte und lernte die Entbehrungen und Freuden des einfachen Lebens kennen. Ernährung und Kleidung waren bodenständig. Auf den Tisch kam, was man selbst erzeugte, das Brot wurde selbst gebacken, und Fleisch war die Ausnahme auf dem Speisezettel. Flachs und Wolle kamen aus der eigenen Wirtschaft und wurden von den Schwestern Justs gesponnen und von einem Verwandten gewebt. Aus diesen Materialien fertigte die Mutter die Bekleidung für die ganze Familie. Die Erfahrungen seiner Kindheit prägten sein späteres Leben als Naturheilkundiger. Großen Einfluß auf die Entwicklung des Jungen hatte der Ortsgeistliche Pastor Georg Kleine, zu jener Zeit ein namhafter Bienenvater. Kleine war Onkel und Erzieher von Wilhelm Busch, der jahrelang im Pfarrhause lebte und auch später häufig dorthin zurückkehrte. Kleine erkannte die Begabung seines Schülers Just und riet ihm zum Besuch des Realgymnasiums in Goslar. Nach dem Abitur begann er in Leipzig eine Buchhändlerlehre, die er in Braunschweig bei Agnes Graff als Volontär abschloß. Just wurde zunächst Leiter, später Teilhaber der Buchhandlung, die in der zwölfjährigen Tätigkeit Justs eine der angesehensten am Platz wurde. Die hier gesammelten Erfahrungen als "Unternehmer" sollten ihm später zugute kommen. In diese Zeit fällt auch der Beginn seiner Beschäftigung mit der Naturheilkunde. Er hatte gesundheitliche Probleme, ein Nervenleiden, aber die Konsultation mehrerer Ärzte brachte nicht den gewünschten Erfolg. In seiner Not studierte er die Schriften der bekanntesten Vertreter der Naturheilkunde seiner Zeit, Louis Kuhne (1835-1901) und vor allem Sebastian Kneipp, und lebte strikt nach deren Heilmethoden. In seiner 1892 erschienenen Broschüre "Rechtfertigung Sebastian Kneipps und Louis Kuhnes als wahre Heilkünstler und gründliche Widerlegung ihrer Anfechtungen" schreibt Just:

 

"Ich selbst, nach einem zwölfjährigen Nervenleiden durch die Allopathie an den Rand der Verzweiflung, bis an die Tür des Irrenhauses gebracht, fand allein durch die verschiedenen Anwendungen der Naturheilmethode und eine ganz gründliche viermonatige Kneippkur mit vegetarischer Lebensweise Linderung und schließlich durchschlagenden Heilerfolg und wahre Hilfe."

Mit diesem Erfolg wollte Just es aber nicht bewenden lassen. Er suchte und fand weitere Möglichkeiten, sein Streben nach einem Leben im Einklang mit der Natur zu verwirklichen.

Im von Pawelschen Holze, einem Buchenwald nahe Braunschweig, errichtete er eine Lufthütte, in der er im Sommer und Winter auf der bloßen Erde schlief. Zusammen mit einer wachsenden Zahl von Gleichgesinnten teilte er sein Waldleben, unternahm ausgedehnte Wanderungen durch den Harz,

ernährte sich spartanisch, badete im Freien und ging fast immer

barfuß.

In Licht und Luft sah er die wichtigsten Heilmittel, zu denen noch das Wasser hinzukam. Er empfahl als Weiterentwicklung von Kuhnes „Sitz-Reibebad“ das sogenannte "neue Bad", ein ganz einfaches kaltes Sitzbad, bei dem man in einer erhöht gestellten kleinen Badewanne in wenig Wasser sitzt, ohne die Füße einzutauchen, "das“, wie Just schreibt, „ den Unterleib abkühlt, abhärtet und stärkt, außergewöhnlich heilwirkend ist und von jedem Menschen ohne Mühe täglich genommen werden kann". Ganz wichtig neben Luft, Sonne und Wasser war für Just die naturgemäße Ernährung. Obst und Gemüse in rohem Zustande, Beeren und vor allem Nüsse waren seine hauptsächlichen Nahrungsmittel. Just versuchte, das Natürliche in jeder Hinsicht für den Menschen wiederzufinden. Er kam bald zu der Schlußfolgerung: "Die Natur irrt nicht, sie hat immer recht".

Um möglichst viele Menschen mit seiner Heilmethode vertraut zu machen, gründete Adolf Just den "Jungborn".

Karl Kötschau (1892 - 1984), Mitbegründer der „Ganzheitsmedizin“, beschreibt aus eigener Erfahrung anschaulich das Leben im Just-Jungborn: "Es war etwas fundamental Neues, das Adolf Just entdeckt hatte. Wohl gab es längst Wasser- und Luftkuranstalten. Das Neue aber, das Just hinzugefügt hatte, war die Erkenntnis, daß auch die Erde von großer Bedeutung für die Gesundheit des Menschen war. Ihm lag daran, die Verbindung des Menschen mit der Erde wieder herzustellen. So baute er Lufthütten, so primitiv wie nur möglich, zunächst ohne verschließbare Fenster und Türen. Er wollte der Natur so nahe wie nur möglich sein. Er wollte auf der nackten Erde schlafen, wollte ihre urwüchsige Kraft in sich aufnehmen.

... Oberster Ordner war die Natur, genauer die Schöpfung, der man sich voll und ganz anvertraute… Jahr für Jahr kamen Tausende Kranker und Erholungssuchender in den Just- Jungborn".

Ist es nicht der Geist Adolf Justs, der aus den Worten Kötschaus spricht: "Wer aus der Medizin eine Wissenschaft machen will, der bringt sie um ihr Bestes: Ihre Beziehung zum Wesen und Ursprung der Schöpfung, um den geistig-seelischen Gehalt allen Lebens. Denn in der Wissenschaft wird von all dem abstrahiert. Die Fülle des Lebens jedoch bleibt auf der Strecke."

Im Jahre 1898 besuchte Emanuel Felke (1856-1926) den Jungborn. Er war nicht nur von Justs Buch angetan, sondern übernahm auch dessen Heilmethoden, die er um Homöopathie und Phytotherapie erweiterte. Folgerichtig gründete er in Repelen den "Felke-Jungborn", bevor er 1915 nach Sobernheim ging und dort die Kur im "Felke-Jungbornpark" von Andres Dhonau leitete.

Just war medizinischer Laie, was aber seinen Heilerfolgen keinen Abbruch tat. Auch Vinzenz Prießnitz (1799-1851), ein Bauer, der Fuhrmann Johannes Schroth (1798-1856), der streitbare Theologe und Forstmann Rausse, eig. Heinrich Friedrich Francke (1805-1848), Pfarrer Kneipp, Pastor Felke, der Prediger Eduard Baltzer (1814-1887), der Apotheker Theodor Hahn (1824-1883), der Färbereibesitzer Arnold Rikli (1823-1906), Are Waerland (1876-1955), ein ehemaliger Student der Philosophie, sie alle waren keine ausgebildeten Mediziner und in ihrer Zeit und bis auf den heutigen Tag weiterwirkend bedeutende Persönlichkeiten der Naturheilkunde. In eine Reihe mit diesen großen Männern der Naturheilbewegung muß man auch Adolf Just stellen.

Ein wichtiges Heilmittel wurde im Laufe der Jahre für Adolf Just die Erde. Er verwandte wie Kneipp Lehm bei der Behandlung zahlreicher Erkrankungen. Dies, obwohl durch vielfache Erfolge in seiner Richtigkeit immer wieder bestätigt und von vielen seiner Patienten geschätzt, sollte ihm vorerst Probleme bereiten. Wenn auch die Zahl seiner Anhänger groß war, traten doch auch Gegner auf den Plan. Ein Arzt aus Bad Harzburg zeigte Just wegen dessen unkonventioneller Heilmethoden an. In einem der ersten "Kunstfehlerprozesse" in der Geschichte der Naturheilkunde wurden Adolf und Rudolf Just zu Geldstrafen verurteilt. Über seinen eigentlichen Anlaß hinaus wurde das Gerichtsverfahren zu einer grundlegenden Kontroverse zwischen Schulmedizin und Naturheilkunde. In seinem Plädoyer führte der Staatsanwalt unter anderem aus: "Die Justsche Lehmbehandlung für Wunden an und für sich ist nicht zu verurteilen. Es spricht zugunsten des Angeklagten, daß alle neuen Entdeckungen zunächst von der Zunft bekämpft werden. So ist es früher bei der Einführung der Kaltwasser-Behandlung, kalten Luftbehandlung und anderen neuen Sachen gewesen. Die Angeklagten sind der Überzeugung, daß die von ihnen geforderten Vorsichtsmaßregeln nicht nötig gewesen seien. Aber wenn bei solchen neuen Methoden Schädigungen eintreten, sind die Betreffenden dafür verantwortlich".

Wie sehr Adolf Just von seiner "Sache", wie er seine Ideen und Heilmethoden nannte, überzeugt war, wird in seinem Schlußwort vor dem Landgericht Wernigerode deutlich: "Ich werde in dieser Sache vor Gott und meinem Gewissen völlig freigesprochen und erkläre noch einmal, daß ich für meine Ideen voll und frei eintrete. In zwanzig Jahren werden vielleicht an dieser Stelle Leute verurteilt, die Wunden behandelt und keinen Lehm genommen haben."

Sein jahrelanges Bemühen, einen Arzt im Jungborn einzustellen, war zunächst erfolglos geblieben. Die Ärztekammer Braunschweig gestattete es gemäß Beschluß vom Jahre 1904 nicht, daß ein Arzt im Jungborn, der "Anstalt des Kurpfuschers Adolf Just" arbeitete. Dies sei "eines Arztes unwürdig". Erst vier Jahre später nahm auf Drängen der Regierung ein Arzt seine Tätigkeit wegen der wachsenden Zahl der Kurgäste im Jungborn auf. Just zog sich im Jahre 1907 aus der Leitung des "Jungborn" zurück und erwarb in Blankenburg (Harz) Land, um naturgemäßen Obstbau zu betreiben, woran er schon im Jungborn gearbeitet hatte und worunter er die Abkehr vom Kunstdünger und, wie er sich ausdrückte, die damit wirtschaftende „falsche Landwirtschaft“ verstand.

An seiner neuen Wirkungsstätte beschäftigte sich Adolf Just intensiv weiter mit seiner Lieblingsidee, der Anwendung von Erde in der Heilkunde. Angeregt durch die Erfolge des Chirurgen Geheimrat Dr. Julius Stumpf (1856-1932) mit Bolus alba bei der Behandlung von Durchfällen bei Ruhr und Cholera, suchte Just nach einem geeigneten Material für die innerliche Anwendung. Er fand in der Nähe Blankenburgs, in Derenburg, ein Lößvorkommen, das seinen Vorstellungen in nahezu idealer Weise entsprach.

Just nannte den Löß suggestiv "Heilerde". Dieser Begriff hat sich allgemein durchgesetzt und findet sich auch im deutschen Arzneimittelgesetz.

Im Jahre 1918 gründete er die Heilerde-Gesellschaft und vertrieb von da an

Heilerdeprodukte im In- und Ausland. Adolf Just war mehr als ein erfolgreicher Unternehmer. Er propagierte die in unseren Tagen vielbeschworene "soziale Gerechtigkeit" nicht nur, er lebte sie. In der schweren Zeit nach dem 1. Weltkrieg machte er mit Optimismus und Beharrlichkeit den Menschen in seiner neuen Heimatstadt Blankenburg Mut zum Neuanfang. Er gab ihnen Lohn und Brot und vor allem eine Lebensperspektive.

Aus Anlaß des 75. Geburtstages von Adolf Just schreibt Rudolf Just in den "Jungborn- Blättern" 1934: "Was für Verdienste hat Adolf Just nun um die

Menschen? Darüber läßt sich ganz kurz sagen: Er hat Gesunde und Kranke eindringlichst aufgefordert, sich wieder unmittelbar unter die Gesetze der Natur zu stellen. Um sie von der Wichtigkeit und von dem höheren Wert natürlichen Lebens und natürlicher Ernährung zu überzeugen, hat er selbst unter größten Opfern in eiserner Selbstzucht ein strenges Leben in und mit der Natur

geführt. Er hat eine Stätte geschaffen, wo Gesunde sich erholen und Kranke genesen können, eine Stätte, die ein Beweis für die Durchführbarkeit und Richtigkeit seiner Ideen ist und zur Schule für naturgemäßes Leben wurde. Adolf Just hat die Kranken zur Selbstbesinnung aufgefordert, indem er ihnen klarmachte, daß sie gesund werden könnten, wenn sie die Heilkräfte der Natur auf sich wirken ließen und ihnen ihr volles Vertrauen schenkten, wenn sie nicht passiv die Hände in den Schoß legten und warteten, sondern aktiv an der Genesung mitarbeiteten. Immer wieder forderte er in seinen Schriften und in seinen Vorträgen die Menschen zu eigenem Denken in kranken und gesunden Zeiten auf ... und machte alte Wahrheiten lebendig. Als erster hat er die denkbar bequemste Gelegenheit zum Luft- und Sonnenbad geschaffen, indem er die Wohnung der Kurgäste im Jungborn gleich in den Luftparks errichten

ließ ... Sein größtes Verdienst aber bleibt unumstritten, daß er die Erde als Heilmittel wiederentdeckt und nun für sie als altes Natur- und Volksheilmittel gekämpft hat. ..Er hat bereits 1896 als erster die Rohkost als Gesundheits- und Heilnahrung eingeführt. Nicht unterschätzt werden darf, daß er es war, der die Nuß als notwendiges Nahrungsmittel bei fleischloser Ernährung herausstellte. Seit 1893 lehrt und befolgt er das Morgenfasten. Für das Nüchternbleiben bis Mittag ist er immer mit ganz besonderem Nachdruck eingetreten. ... Er ist ein Vorkämpfer für die Neugestaltung des Lebens - ein wirklicher Reformer des Lebens!" Weiter schreibt Rudolf Just: "Er wußte von der hohen Bedeutung, von der Notwendigkeit des Glaubens und seinem besonderen Wert für Kranke und seelisch Gebeugte, und wenn er ihnen in seiner kraftvollen, überzeugenden Begeisterung zurief: ‚Fürchte dich nicht, glaube nur’, hat er sie oft zu innerer Ruhe und Kraft geführt."

Das oben zitierte Wort von Jean-Jaques Rousseau verstand Just als Aufforderung, Ehrfurcht zu haben vor der Ganzheit des Lebendigen, wie es Stolzenberg ausdrückt. Just hat nicht nur Rousseaus "Kehrt zur Natur zurück" als Leitsatz seines therapeutischen Handelns übernommen, sondern mit seinem Lebenswerk auch einen überzeugenden Beitrag zu dessen These „Der einzige wirklich nützliche Teil der Arzneiwissenschaft ist die Gesundheitslehre; überdies ist sie weniger eine Wissenschaft als eine Tugend" geleistet.

Just sagte vor mehr als einem Jahrhundert: "Die Natur ist heute fast überall vom Menschen gestört (Ausroden der Wälder, Verderben der Luft, Verunreinigungen des Wassers u.v.a.) ...

Der Mensch sucht die Materie in seinen Dienst zu stellen, er sucht in dieser höheres Wohlleben und Glück, aber er muß auf diese Weise das Gegenteil, Krankheit, Schmerzen, Schwäche, Unglück, erreichen."

Diese Mahnung hat bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.

Am 20. Januar 1936 starb Adolf Just zurückgezogen im Alter von 77 Jahren. Er wurde seinem Wunsch entsprechend an seiner letzten Wirkungsstätte in Blankenburg im Harz beerdigt.

 

 Autor: Dr. Bernd Olesch